Muskelkater

Eine halbe Stunde schon warte ich. Lehne angespannt an der Wand neben dem Eingang des Cafés, ein Bein angewinkelt, meinen Lieblingshut trage ich auf dem Kopf und einen dunklen Mantel darunter, man will ja wenigstens elegant aussehen, wenn man sich wieder mal zum Beendet-werden trifft. Den Hut ziehe ich tiefer, damit niemand in mein Gesicht schauen kann, ein bisschen auch, damit ich niemandem ins Gesicht schauen muss. Zweimal schon hat mich der Sicherheitsmann argwöhnisch angesprochen, als er seine Runden durch das Einkaufszentrum zog, schnüffelnd fast, als wäre er sein eigener Hund ohne Leine. “Kann ich Ihnen helfen?”, fragt er, “nö”, sage ich. “Sind Sie sich da sicher?” Und er kneift seine Augen zusammen und schaut mich von Kopf bis Fuß an. “Klar. Ganz sicher”, sage ich, “ich warte bloß…”

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie ein Mann die Straße überquert und mit schnellem Schritt auf das Café zuläuft, fast an mir und dem Hundemann vorbei. “Hey”, sage ich. “Hey”, sagt er, und bleibt stehen. Schaut sich kurz um, und zieht mich durch die Tür ins Innere des Cafés, während der Beanzugte vor der Tür uns skeptisch hinterherschaut. Unsicher steht der Mann neben mir und deutet auf einen Tisch in der Ecke des Cafés. “Dahin?” fragt er. “Klar”, sage ich. Mir eigentlich egal, von wo aus ich gleich wieder gehe. Noch einmal schaut er sich hektisch um. Dann hilft er mir aus dem Mantel und wir setzen uns. Die Bedienung kommt an unseren Tisch. “Tee”, sagt er. “Mit Milch, natürlich.” Dabei schaut er sehr bestimmt. Ich lege meinen Hut auf den Sitz neben mich. “Und für ihre Tochter?” fragt die Bedienung, und ich sehe, wie er zusammenzuckt und muss fast ein bisschen lachen. “Ich”, sagt er, als sie weg ist, “ich kann das nicht mehr.” “Ich weiß”, sage ich. Dann Schweigen.

Wir sitzen noch eine Weile zusammen, rühren in unseren Teetassen. Jedes Mal ist das so. Zwei Würfel Zucker. Und Erschöpfung danach. Leise Musik. Er schaut aus dem Fenster. Ich schaue ihn an. Dann räuspert er sich. “Weißt du, ich wollte ja mit ihr darüber reden, aber dann…” Ich nehme meinen Hut und stehe auf. Er räuspert sich erneut. Ich schaue aus dem Fenster. Er schaut mich an. “Also…”, sagt er, “ich… magst du vielleicht, also, sie… sie ist heute Abend bei einer Freundin eingeladen. Zum Essen. Also. Ich bin alleine.” Er schaut sich noch einmal im Café um und leiser, fast entschuldigend, fragt er: “Willst du vielleicht doch noch mitkommen? Nur noch dieses eine Mal?”. Ich trinke den letzten Schluck Tee im Stehen und knöpfe meinen Mantel zu. “Klar”, sage ich. “Klar”.

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